Muss der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber über den Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt in Kenntnis setzen?

In der Entscheidung vom 26. März 2015, Az.: 2 AZR 517/14, beschäftigte sich das Arbeitsgericht mit der Frage, ob eine fristlose Kündigung wegen unterlassener Mitteilung des Aufenthaltsortes rechtmäßig war.

 

Der Sachverhalt: Unbekannter Aufenthalt eines Arbeitnehmers

 

Zwischen der Beklagten und dem Kläger bestand ein Arbeitsverhältnis, wobei der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt war.

Anfang 2011 versetzte die Beklagte den Kläger aus ihrer Betriebsstätte F in die Betriebsstätte M. Nach seiner Versetzung war der Kläger zunächst wegen Krankheit arbeitsunfähig und sodann im Erholungsurlaub.

Während einer Gerichtsverhandlung am 28.04.2011 wurde der Kläger verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Hierbei war eine Rechtsanwältin zugegen, die das Verfahren für die Beklagte beobachtete. Aus der Justizvollzugsanstalt W nahm er keinen Kontakt zur Beklagten auf und informierte sie auch nicht über den Grund seiner Verhaftung noch über den Ort seiner Unterbringung.

Nachdem das Integrationsamt eine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. Juni 2011 außerordentlich fristlos. Die Kündigung erreichte den Kläger tatsächlich in der Justizvollzugsanstalt.

Anschließend kündigte die Beklagte unter Zustimmung des Integrationsamtes mit Schreiben vom 11. Juli 2011 das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 28. Juli 2011 zudem hilfsweise ordentlich.

Der Kläger wehrte sich gegen alle Kündigungen. Er vertrat die Ansicht, es läge kein wichtiger Grund vor und es mangelte an der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats.

Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 16. Juni 2011 als rechtmäßig angesehen. Zu den darauf folgenden Kündigungen hat es sich nicht erklärt.

 

Entscheidungsgründe: Unbekannter Aufenthalt eines Arbeitnehmers

 

Das Bundesarbeitsgericht ging in seiner Entscheidung davon aus, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zu der Kündigung vom 16. Juni.2011 angehört worden ist und die Kündigung damit nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei.

 

Fehlende Betriebsratsanhörung!

 

Die Anhörung bezieht sich jedoch nicht auf die fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011, die auf ein „unentschuldigtes Fehlen“ des Klägers gestützt ist, sondern auf die später mit Schreiben vom 28. Juli 2011 erklärte ordentliche Kündigung, die damit begründet wird, der Kläger habe andere Mitarbeiter mit haltlosen Klagen überzogen. Im Übrigen legte die Beklagte dem Betriebsrat nur das Anschreiben an das Integrationsamt vor, welches sich nur auf eine ordentliche Kündigung bezog.

Den folgenden Hinweis auf einen zugleich an das Integrationsamt gerichteten Antrag auf Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens des Klägers musste der Betriebsrat nicht als Anhörung verstehen. Dabei muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Art der beabsichtigten Kündigung, d.h. ordentlich oder außerordentlich, unterrichten.

Darüber hinaus fehlt es an einem wichtigen Grund für die Kündigung vom 16.Juni 2011.

 

Fehlender wichtiger Grund!

 

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Entscheidend sind die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung, der bewirkte Vertrauensverlust, die wirtschaftlichen Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

Das Bundesarbeitsgericht sah keine schuldhafte Verletzung der Hauptpflicht (Arbeitsleistung) und stellte sich die Frage, ob der Kläger mit der unterlassenen Informierung des Arbeitgebers über seinen Aufenthaltsort eine Nebenpflicht verletzen haben könnte, die eine fristlose Kündigung begründen könnte.

 

Informationspflicht als Nebenpflicht!

 

Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB) und dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen.

Daher ist der Arbeitnehmer gehalten, dem Arbeitgeber seinen Aufenthaltsort unverzüglich anzuzeigen und ihn über die voraussichtliche Haftdauer in Kenntnis zu setzen. Unschädlich ist, dass diese Mitteilungspflicht nicht eigens vertraglich oder gesetzlich bestimmt ist.

 

Unterlassene Informierung als wichtiger Grund!

 

Eine fristlose Kündigung kommt jedoch regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird. Diese können etwa darin liegen, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten beharrlich verletzt oder durch sein Verhalten anderweitig deutlich macht, dass er auch in Zukunft nicht bereit sein werde, ihnen nachzukommen.

Im vorliegenden Fall wog der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht so schwerwiegend.

Eine Unterrichtung der Beklagten über die Untersuchungshaft war deshalb nicht entbehrlich, weil zwischen den Parteien Streit über die Wirksamkeit der Versetzung des Klägers aus der Betriebsstätte F in die Betriebsstätte M bestand.

Die Mitteilungspflicht des Klägers entfiel auch nicht deshalb, weil der Beklagten seine Verhaftung als solche bekannt war. Die Beklagte wusste nicht, dass der Kläger in Untersuchungshaft genommen worden war, also welche Auswirkungen dieses auf die internen Verfahrensabläufe haben würde.

Die Verletzung der Nebenpflicht war nicht besonders schwerwiegend. Auch wenn dem Kläger die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar gewesen sei, so hat er seine Anzeigepflicht nicht vorsätzlich und beharrlich verletzt. Sein Verhalten kann ebenso gut auf Nachlässigkeit beruht haben. § 241 Abs. 2 BGB begründet keine generelle Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber darüber zu informieren, in welche Haftanstalt er verbracht worden ist.

Aus § 32 Abs. 1 BDSG folgt nichts anderes. Die Vorschrift sieht nicht etwa originäre Anzeigepflichten des Beschäftigten vor.

Was seine Erreichbarkeit betrifft, so genügt der Arbeitnehmer dem aber regelmäßig dadurch, dass er eine Zustellanschrift – etwa seine Wohnanschrift – benennt, an die rechtsgeschäftliche Erklärungen übermittelt werden können. Das gilt auch während der Zeit einer Untersuchungshaft. Der Arbeitnehmer muss einen unter seiner Wohnanschrift bewirkten Zugang auch in dieser Zeit gegen sich gelten lassen. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Arbeitnehmer während seiner Inhaftierung seine bisherige Wohnung aufgibt oder ein für ihn eingerichtetes Postfach kündigt.

Die fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011 war rechtswidrig. Der Kläger war insoweit erfolgreich. Wegen der weiteren Kündigungen hat das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Kanzlei Swist – Anwalt Arbeitsrecht Düsseldorf
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Die vollständige Begründung der Entscheidung „Unbekannter Aufenthalt eines Arbeitnehmers“ finden Sie unter:

 

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2-azr-517-14/?highlight=2+AZR+517%2F14

 

 

Unbekannter Aufenthalt eines Arbeitnehmers

 

 

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Anwalt Arbeitsrecht: Unterlassene Mitteilung des Aufenthaltsortes – Fristlose Kündigung?
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