Kündigung wegen In-vitro-Fertilisation
In seiner Entscheidung vom 26.03.2015, Aktenzeichen 2 AZR 237/14, hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschutzgesetz sowie mit der Diskriminierung von beschäftigten Frauen bei bevorstehender In-vitro-Fertilisation zu beschäftigen.
Der Sachverhalt:
Der Sachverhalt hätte nicht alltäglicher sein können. Eine Arbeitnehmerin erklärt gegenüber ihrem Arbeitgeber, dass sie schon länger versuchte, schwanger zu werden und nunmehr den Weg der In-vitro-Fertilisation, also der künstlichen Befruchtung, beschreiten werde. Daraufhin sprach der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung aus, gegen die die Arbeitnehmerin gerichtlich vorging.
“Kündigung künstliche Befruchtung”
Die Klägerin verteidigte sich gegen die Kündigung damit, dass sie den Arbeitgeber fristgemäß über die Frühschwangerschaft informiert und den Mutterpass sowie ein ärztliches Schreiben mit Mitteilung über den Embryonentransfer vorgelegt hätte. Daraus konnte gefolgert werden, dass der Embryonentransfer vor dem Ausspruch der Kündigung stattgefunden hätte. Sie sei schwanger im Sinne des Mutterschutzgesetzes und könnte nur mit behördlicher Zustimmung gekündigt werden. Zudem wäre die Kündigung diskriminierend.
Der Arbeitgeber wandte ein, die Arbeitnehmerin hätte ihre Schwangerschaft nicht nachgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Auffassung der Arbeitnehmerin.
Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 Mutterschutzgesetzes. Sie war bei Zugang der Kündigung im Sinne der Vorschrift schwanger. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit ihrer Einnistung (Nidation).
In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption, dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr, bis zur Geburt.
Kündigungsverbot bei natürlicher Empfängnis?
Bei der natürlichen Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird. Dieses Vorgehen soll gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des Mutterschutzgesetzes in Anspruch nehmen kann und sich die Schwangere nicht Ungenauigkeiten und Zweifel an der Konzeption entgegenhalten lassen muss.
Schutz der Schwangeren bei künstlicher Empfängnis!
Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt der besondere Kündigungsschutz mit dem Embryonentransfer. Es kann weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der Zeitpunkt der Nidation.
Das frühste Eingreifen des Schutzes nach dem Mutterschutzgesetz stellt der Zeitpunkt des Embryonentransfers dar. Der Kündigungsschutz beginnt nicht schon mit der Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau. Hierfür sprechen Gründe der Rechtssicherheit. Die Arbeitnehmerin könnte sich so nicht über die gesamte Zeit der Einfrierung auf den Mutterschutz berufen.
Die Rückrechnungsmethode, wie sie bei der natürlichen Empfängnis angewandt wird, würde auch zur Einbeziehung von Zeiten vor dem Embryonentransfer führen, was offensichtlich auch nicht gerechtfertigt sei.
Der Zeitpunkt der Nidation oder Einnistung lässt sich schwer bestimmen und minimiert den Schutz der Schwangeren. Wann genau der Prozess der Nidation bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der Regel nicht festgestellt und führt zu Unsicherheit über den Beginn des Kündigungsschutzes.
Damit erkannte das Bundesarbeitsgericht den Zeitpunkt des Embryonentransfers als entscheidend an.
Diskriminierung wegen Geschlechts bei Kündigung wegen In-vitro-Fertilisation?
Ferner sah das Bundesarbeitsgericht die Kündigung als Verstoß gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG, weil es die Arbeitnehmerin wegen ihres Geschlechts diskriminierte.
Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Nur die dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt.
Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Da die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen betreffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen, ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte den Parteien hinreichende Indizien für die Annahme einer Diskriminierung, weil sich der Beklagte bis dahin regelmäßig positiv über die Arbeitsleistung geäußert hatte, das Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze Zeit nach ihrer Mitteilung von einer „anstehenden“ künstlichen Befruchtung gekündigt hat und diese Stelle mit einer „älteren“ Arbeitnehmerin besetzt hat.
Kanzlei Swist – Anwalt Arbeitsrecht Düsseldorf
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Die vollständige Begründung der Entscheidung „Kündigung wegen In-vitro-Fertilisation“ finden Sie unter:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2-azr-237-14/?highlight=2+AZR+237%2F14
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