Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten
Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland
Arbeitnehmer verrichten ihre Arbeit im Ausland, weil sie neue Erfahrungen sammeln wollen oder weil sie im Ausland bessere Konditionen erwarten.
Gerade die Erwartung auf bessere Konditionen realisiert sich nicht immer. Häufig stellen Arbeitnehmer fest, dass die besseren Konditionen nur auf dem Papier bestehen. Di Realität sieht anders aus. Knebelungsverträge und Einschüchterung sind wohl keine Seltenheit. Selbst, wenn die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse mit einem erheblichen Nutzen für beide Parteien gelebt werden, so sind auch andere Fälle sehr bekannt.
Betreuungskräfte in Privathaushalten berichten zuweilen, dass sie 24 Stunden am Tag eingespannt wurden, obwohl sie laut Arbeitsertrag nur 8 Stunden arbeiten sollten. Nicht selten teilen sie auch mit, dass sie sich verpflichtet sahen, die Pflegebedürftigen zu betreuen, weil sie on dem Familienmitglied, mit dem sie Kontakt hatten, allein gelassen wurden.
Und dann hat noch nicht einmal die Vergütung gestimmt?
Genau mit diesem Fall musste sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24.06.2021, Az.: 5 AZR 505/20 auseinandersetzen.
Sacherhalt:
Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien.
Sie war seit April 2015 bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, als Sozialassistentin beschäftigt.
In dem in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag ist eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten.
Die Klägerin wurde nach Berlin entsandt und arbeitete gegen eine Nettovergütung von 950,00 Euro monatlich im Haushalt der über 90-jährigen zu betreuenden Person, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Ihre Aufgaben umfassten neben Haushaltstätigkeiten (wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc.) eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) und soziale Aufgaben (z.B. Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Interessenverfolgung).
Der Einsatz der Klägerin erfolgte auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags, in dem sich die Beklagte gegenüber der zu betreuenden Person verpflichtete, die aufgeführten Betreuungsleistungen durch ihre Mitarbeiter in deren Haushalt zu erbringen.
Mit ihrer im August 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin unter Berufung auf das Mindestlohngesetz (MiLoG) weitere Vergütung verlangt.
Sie hat geltend gemacht, bei der Betreuung nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen, damit sie auf Rufen der zu betreuenden Person dieser – etwa zum Gang auf die Toilette – Hilfe habe leisten können.
Für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 hat die Klägerin zuletzt die Zahlung von 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen begehrt.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie schulde den gesetzlichen Mindestlohn nur für die arbeitsvertraglich vereinbarten 30 Wochenstunden. In dieser Zeit hätten die der Klägerin obliegenden Aufgaben ohne Weiteres erledigt werden können. Bereitschaftsdienst sei nicht vereinbart gewesen.
Sollte die Klägerin tatsächlich mehr gearbeitet haben, sei dies nicht auf Veranlassung der Beklagten erfolgt.
Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass eine Schätzung von einer Arbeitszeit von 21 Stunden kalendertäglich vorliegend unzulässig sei.
MiLog gilt auch für ausländische Arbeitgeber!
Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 i. V. m. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber trifft, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Hierbei handelt es sich um Eingriffsnormen iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gelten, ob ansonsten auf das Arbeitsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet.
24-stündige-Betreuung
Das Landesarbeitsgericht hat zwar zu Recht in den Blick genommen, dass aufgrund des zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person geschlossenen Dienstleistungsvertrags eine 24-Stunden-Betreuung durch die Klägerin vorgesehen war.
Kein widersprüchliches erhalten?
Es hat jedoch rechtsfehlerhaft bei der nach § 286 ZPO gebotenen Würdigung des gesamten Parteivortrags den Hinweis der Beklagten auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche nicht berücksichtigt, sondern hierin ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten gesehen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.
Freizeitregelung?
Auch die Anschlussrevision der Klägerin ist begründet. Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe geschätzt täglich drei Stunden Freizeit gehabt, fehlt es bislang an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten.
Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte. Dass die Klägerin mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Stunden/Woche zu arbeiten hatte, dürfte – nach Aktenlage – nicht fernliegend sein.
Gerichtliches Ergebnis:
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.
Kanzlei Swist – Rechtsanwalt Arbeitsrecht Düsseldorf
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Quelle zum Fall „entsandte ausländische Betreuungskräfte“ ist die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.2021, Az.: 16/21. Die Entscheidung finden Sie unter dem Link:
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